Bücher sind meine persönlichen 

Schätze. 

Sommer, Urlaub, Lesen. Das war mal. Zumindest bei mir. Der Urlaub war die Zeit, in der ich am wenigsten lesen konnte, aber dafür schaffe ich es davor und danach. Meistens morgens, wenn meine Tochter noch schläft oder manchmal am Abend. 

Lesen gehört auf jeden Fall zu mir, schon immer und zum Glück auch wieder. In den ersten anderthalb Mamajahren habe ich fast gar nicht mehr gelesen. Aber jetzt. 

 

Meine drei Highlights für diesen Sommer stelle ich euch in diesem Blogartikel vor und ich würde mich freuen, wenn ich auch von eurer Meinung dazu etwas erfahre. 

 

Ich beginne mit „Morgen kann kommen“ von Ildikó von Kürthy. 

Ich lese schon seit 20 Jahren ihre Romane und gebe zu, die letzten haben ich nicht so vom Hocker gerissen. Zwar wie immer sehr humorvoll, aber diese ständigen Figur- und Charaktervergleiche unter Frauen waren teilweise einfach nicht mehr so spannend. Aus dieser Erfahrung heraus, habe ich mir den neuen auch „nur“ aus der Bibliothek geholt. Der ich habe mich gefreut, als er dort stand. 

Beim Lesen habe ich aber dann doch sooo viele tolle Sätze unterstrichen, dass ich mir das Buch wohl doch noch kaufe und die Anmerkungen übertrage 😉

Worum geht´s?

Darum gehts: Ruth, eine Frau im Hintergrund ihres Schauspielmannes findet ein zerrissenes Foto, das ihr lauwarmes Leben infrage stellt und Zweifel wachruft. Sie verlässt ihre vermeintlich sichere Welt und trifft auf Menschen, die ganz anders als sie, aber ihr Herz erfrischen. Den gutmütigen, kranken Rudi, den ichvergrüngten Erdal, die überwältigende Fatma, die geheimnisvolle Wanda und Gloria, ihre große, verräterische Schwester. In schneller Abfolge gehen eine Nie, zwei Beziehungen und etliche Illusionen zu Bruch. (Klappentext) 

 

Ildikós Roman ist wie viele ihre Bücher wahnsinnig lebensklug, humorvoll weise und herrlich sich selbst erkennend. Sie kann viele Gedanken auf den Punkt bringen, die man selbst nur nebulös denken kann. Ich bin z.B. Team Kopfschütteln, wenn ein dickes Auto durch die Stadt fährt. Ich könnte nur denken: „Muss das denn sein??“ Aber der Kommentar „Geländewagen ohne Gelände“ (S. 185) macht mein Kopfschütteln total erklärbar für mich. Und von diesen „ah, jetzt versteht ich mich“ Sätzen findet man viele im aktuellen Roman. 

Manchmal erschütternd, aber immer hilfreich. „Was bleibt von mir, wenn man meinen Mann von mir abzieht?“ Für mich muss man eher meine Tochter abziehen, aber solche Fragen mag man sich oft nicht stellen und im Buch sieht man, dass Ruth es auch schafft und wenn sie das schafft, dann…;-)

 

Ildikó wird mit mir älter und das finde ich toll. Der Roman ist reif. Es geht viel weniger um Falten und Dellen und dafür viel mehr um die innere Beschaffenheit und wie wir mit ihr umgehen können. Wie man sich aus ungesunden Mustern befreit, auch, wenn man jahrzehntelang mit ihnen gelebt hat. Wir haben oft besseres verdient, als das, was wir uns mit Anfang 20 gesucht haben. Also begleitet Ruth bei ihrem Befreiungs-Tsunamie, der lange nach dem „Romantik-Tsunamie“ (S.153) kommt, mit dem sie ihr Mann am Anfang ihrer Beziehung überschwemmt hat. 

 

Lest ihr auch gern Bücher von ihr? 

Sie lacht das Leid in die Flucht. 

Ildikó von Kürthy

Auf kleiner Schatzsuche

Ich mag John Strelecky und seine Lebens- Erkenntnisse sehr. Bücher von ihm haben mich stets an die Ostsee begleitet, weil ich am Wasser meistens selbst nach Antworten auf aktuelle Fragen für mich suche und seine Bücher mich dabei total passend unterstützen. 

Mit Kleinkind bin ich nicht mehr ganz so flexibel, was spontane Fahrten an die Ostsee angeht. Meine Tochter braucht Struktur, Routinen und einen gewohnten Ablauf, sonst tut sie sich in der Kita sehr schwer. 

Also habe ich das neue Buch nicht an der Ostsee, sondern im Garten gelesen. Ging auch und es gab nicht weniger Hilfreiches zu entdecken. Ich habe ziemlich viel markiert 😉

 

Worum geht´s?

Worum gehts: Hanna, 15, fühlt sich von ihren Eltern vernachlässigt und muss schon früh für sich selbst sorgen. Dabei sieht sie nicht die Chance auf Selbstbestimmung, sondern eher den Fokus auf Ablehnung und Vernachlässigung. 

Die Fragen, auf die sie im Café am Rande der Welt trifft und die Gespräche, die sie dort führt, öffnen ihren Blick auf weitere Sichtweisen und Chancen, statt auf Begrenzungen. Gerade weil Hannah 15 ist, finde ich, dass sie eine tolle Identifikation für Jugendliche sein kann. Die Weisheit, die im Buch steckt ist aber auch für alle Erwachsenen wertvoll. 

 

Wer das Café am Rande der Welt schon aus den vorherigen Romanen kennt, findet Vertrautes auch in diesem Roman. Es taucht unvermittelt auf, weil eine Person in ihrem Leben nicht weiter weiß und Fragen hat, die im näheren Umfeld niemand beantworten kann. Weil das nähere Umfeld dafür sorgt, dass man diese Fragen überhaupt hat. Viele kennen diesen Zustand sicherlich und eine ganz tolle Frage, die im Roman zu Beginn gestellt wird ist. „Was wäre, wenn du es wüsstest?“ (S.26)

Ich finde diese Frage sowas von türöffnend, herzöffnend und tiefgehend. Ich habe sie mir 3mal unterstrichen, weil sie so viel Potenzial hat. 

Ich denke, unsere vielen Gedanken bilden eine Schutzmauer um uns herum, je mehr wir denken, desto weniger tun wir. So verändern wir nichts und sind in Sicherheit. Die Aufgabe unseres Gehirns ist, dass wir überleben, uns nicht in Gefahr bringen. Jede unbekannte Handlung, jedes neue Gebiet ist eine „Gefahr“ für unsere Gehirn, also ist jede verhinderte Handlung das Bewahren unserer Sicherheit. Wir denken und denken, stellen uns Fragen, finden keine Antwort, denken weiter und wieder von vorn und alles ist gut. Aus Gehirnsicht. 

„Was soll ich nur tun?“ – „Was wäre, wenn du es wüsstest?“ Dann müsstest du ins Handeln kommen, du kannst ja dein Wissen nicht ignorieren, damit fühlst du dich schuldig und Schuld ist kein schönes Gefühl. Also fühlst du dich lieber unwissend, das ist besser. So wie Hannah, sie fühlt sich in der Welt nicht verstanden, gesehen und geliebt und weiß nicht, was sie daran ändern soll. 

Denn, wenn sie es wüsste, dann müsste sie sich wahrscheinlich von einigen Menschen in ihrem Umfeld verabschieden und das macht Angst, bringt Unsicherheit und bedeutet „Gefahr“!

Die Story

Durch die Gespräche im Buch wird ihr diese Angst genommen. Der Fokus auf die Chance der Unsicherheit gelegt und ihr werden kleine Tipps an die Hand gegeben, die für ihr ganzes Leben von Nutzen sein werden und ihr bei der selbstbestimmten Gestaltung helfen. „Gespannte Erwartung und Angst rufen häufig dieselben Empfindungen hervor.“ (S. 22) Aber sie ist der Beginn der Wahrheit und in meiner eigenen Therapie habe ich gelernt, dass nicht die Situationen psychische Krankheiten verursachen, sondern die Lügen, die wir über die Situation erzählt bekommen oder selbst erzählen sollen. 

 Also beginnt mit jeder Entscheidung, die wir treffen eine Kurzgeschichte (S. 35). „Erster Akt: Triff eine Entscheidung. Zweiter Akt: Erlebe die Realität, die mit dieser Entscheidung einhergeht.“ (S.36)

Am gesündesten für alle Beteiligten ist es, wenn diese Entscheidung aus einer Wahrheit heraus getroffen wird, nicht aus eine Flucht, nicht aus einer Vermeidung, nicht aus eine Opferhaltung. 

Das ist nicht einfach, erfordert Mut und auch Zuversicht, aber die Realität, mit der man viel länger leben muss, als mit der Entscheidung wird eine bessere sein. Für einen selbst, vielleicht nicht für andere, für das Umfeld, aber für einen selbst. Und das ist die wichtigste VerANTWORTung, die wir haben. Die Wahrheit für uns selbst zu finden. Zischen all den Popups, Meldungen, Werbungen, Schlagzeilen und Versprechen. 

Die Bücher von John Strelecky schaffen es immer wieder, diese Außenschreie leiser werden zu lassen und bei sich anzukommen. Angeleitet, wie in einer lesenden Meditation. „Jeder Schritt ist eine riesige Lernkurve“ (S.132). Aber man braucht keine Angst vor Lernkurven zu haben. „Überraschung am Rande der Welt“ nimmt uns mit durch Hannahs Lernkurve uns wir sehen, dass nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil, wir bekommen viel mehr zurück, als wir aufgeben müssen. 

Habt ihr das Buch gelesen oder andere Bücher vom Autor? 

Was ist eure Meinung dazu? 

Aktuelle Abiturlektüre

Die letzte Lektürevorschlag ist kein aktuelles Buch, aber wer Kinder im Abituralter hat, kann mit der Lektüre für gemeinsamen Gesprächsstoff sorgen. 

„Corpus Delicti“ ist immer mal wieder Lesevorgabe für das Zentralabitur in Deutsch und da es ein toller Roman von einer meiner Lieblingsautorinnen ist, stelle ich ihn diesen Sommer mit vor. Vielleicht könnt ihr das Abitur eurer Kinder so aktiver mit begleiten. 

 Das Buch ist 2009 erschienen, hat aber durch Corona wieder an Aktualität gewonnen. Denn der Staat, der im Roman geschildert wird, „will nur unser Bestes und hat Gesundheit zur höchsten Bürgerpflicht gemacht.“ (Klappentext) Ein junger Mann (Moritz Holl) bringt sich um, weil das System ihn schuldig spricht, obwohl er kein Verbrechen begangen hat. Seine Schwester Mia Holl möchte seine Unschuld beweisen und wird dabei zu einer Gefahr für das totalitäre System. 

Wer mehr über Juli Zeh weiß, dem ist bekannt, dass sie Jura studiert hat und sich intensiv mit Rechts- und Verfassungsfragen beschäftigt und dazu viele Schriften veröffentlicht. Gegen die Coronamaßnahmen hat sie Verfassungsklage eingereicht, vielleicht weil sie schon viele Jahre zuvor den eingeschlagenen Weg zu Ende gedacht hat. Öffentliches Rauchverbot- Schutz oder Eingriff in die Würde des Menschen? Warum dann kein öffentliches Alkoholverbot? Ist da kein Schutz nötig? Fitnesstraining, Vorsorgeuntersuchungen, Bonusheft…wo darf ein Staat in die Privatsphäre eingreifen und mit welchem Ziel? „Kluge Leute beurteilen die Wahrheit in Grenzfällen deshalb nicht nach ihrer Gültigkeit, sondern nach ihrer Nützlichkeit.“ (S.121)

Gute Abiturlektüre?

Der Lebensweltbezug des Romans, der für die Schule immer sehr wichtig ist, ist also intensiv gegeben, aber natürlich geht es auch um die literarische Leistung.
Wie alle Juli Zeh Romane ist „Corpus Delicti- ein Prozess“ mit tollen Sprachbildern und Gedankenessenzen gefüllt. Angefangen beim Titel, der verschieden gedeutet werden kann, aber nicht kryptisch verschlüsselt ist, wie in manch anderen Schullektüren. 

„Ich würde ihnen jetzt gern ein paar Fragen stellen.“ „Schießen sie los.“ (S.205) zeigt schon, dass Fragen eine ganz andere Rolle spielen, als im vorher vorgestellten Buch. Die Fragen sollen nicht zu uns hin, sondern von unseren Überzeugungen weg führen. „Lassen Sie das Gift des Zweifels wirken, Mia. Dann haben Sie etwas, worüber Sie in ihrer freien Zeit nachdenken können.“ (S.211).  Fragen sind bei Zeh Munition, nicht Medizin. 

 

Der ganze Roman ist dystopisch, kein Happy End, auch, wenn es so scheint. Alles ist kalt und verachtend, die Talkshow heißt „Was alle denken“ und das „Recht ist ein Spiel, bei dem alle mitspielen müssen.“ Das tut Moritz Holl, Mias Bruder nicht. Er widersetzt sich der absoluten Ordnung und liebt weiterhin die bakterienversuchte Natur. „Das Nicht- Verlassen des Hygienegebiets wird jedoch mit Idiotie ersten Grades mit äußerer Versteinerung und innerer Totalverblödung bestraft.“, ist seine Meinung und damit steht er im Buch ziemlich alleine da. 

Damit Mia an seinen Gedanken auch nach seinem Tod noch teilhaben kann, überlässt er ihr seine ideale Geliebte. Eine fiktive Figur, mit der Mia sich wie mit ihrem Bruder unterhalten kann. 

Als sie gegen Ende des Romans erfolgreich mit den Brudergedanken geimpft ist, kann die ideale Gelebte verschwinden. 

Mia wird zur Unterbringung in einer Resozialisierungsanstalt mit medizinischer Überwachung und einem Alltagstraining verurteilt. Kurz: Gehirnwäsche. Dieses Urteil gilt als Begnadigung zum vorherigen Urteil: Einfrieren auf unbestimmte Zeit“ (S.10). Das Ende wird schon am Anfang benannt, damit der „Prozess“ und der „Prozess“ in Mia auf allen Ebenen nachvollzogen werden kann. 

 

Für die Schullektüre würde ich mir wünschen, dass eher Romane wie der von John Strelecky dabei Beachtung finden. Die SchülerInnen Zuversicht und Hilfe in Büchern finden und nicht mit erschütternden Zweifeln zurückgelassen werden. 

 

Wir selbst können für eine Mischung beim Lesen sorgen. Die Abiturvorgaben tun das nicht. Alle drei Romane sind toll, aber jeder auf eigene Art und wer nur den letzten liest, blickt nicht zuversichtlich ins Leben. 

Ich werde trotzdem ein Material zum Buch erstellen, weil ich Juli Zeh und ihre präzisen Gedanken endlos mag. Vielleicht haben die SchülerInnen ja nach der Lektüre Lust auf weitere Romane von ihr. Es würde sich lohnen. 

 

Habt einen schönen Lesesommer und berichtet gern von euren Sommerbüchern 2022.